SÜDITALIEN



MONUMENTALGRÄBER UND GRABMALEREIEN IN SÜDITALIEN

Stephan Steingräber


Süditalien war im 1. Jahrtausend v. Chr. bekanntlich durch eine Vielzahl von Völkern unterschiedlicher Abstammung und Kulturen unterschiedlichen Niveaus charakterisiert, die in mannigfaltiger Weise miteinander in Berührung kamen, teils in kriegerischen Auseinandersetzungen, teil in fruchtbarem kulturellen Austausch. Als Resultat dieses bunten Völkergemischs finden wir auch im Sepulkralwesen oft sehr unterschiedliche Manifestationen. Zu den wichtigsten Volksgruppen gehörten Griechen unterschiedlicher Provenienz wie aus Euböa, Achaia, Lakonien und dem jonischen Osten, die sich an der tyrrhenischen Westküste bis hoch zum Golf von Neapel und an der jonischen Ostküste bis hinauf zum Golf von Tarent angesiedelt hatten, wobei ihre ältesten Kolonien auf die Mitte und die zweite Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. zurückgehen. Diese kulturell hoch entwickelten kolonialgriechischen Küstenzentren brachte bedeutende Monumente wie vor allem zahlreiche Tempel und herausragende Kunstwerke hervor und wirkten in vieler Hinsicht auf ihr jeweiliges Umund Hinterland ein, in dem italische Volksstämme saßen wie die Campaner oder Osker in Nordcampanien, die Samniten im gebirgigen Hinterland der campanischen Küstenebene, die Lukaner in Südcampanien und der Basilicata, die Bruttier in Kalabrien sowie - von Norden nach Süden - die Daunier, Peuketier und Messapier in Apulien. Während die drei Volksstämme in Apulien, die man auch unter dem Begriff der Japyger zusammenfaßt, eine eigenständige italische Volksgruppe bilden, die ausgeprägte Beziehungen zum transadriatisch-illyrischen und später auch zum epirotisch-makedonischen Raum unterhielt, gehörten die anderen genannten Stämme der ostitalischen oder sog. umbro-sabellischen Gruppe an, die sich durch einen betont kriegerischen Charakter und einen damit verbundenen starken Expansionsdrang auszeichnete, den nicht zuletzt auch manche der griechischen Kolonialstädte wie Poseidonia-Paestum zu spüren bekamen. Mit der zweiten Häifte des 4.Jhs. v. Chr. traten zudem die Römer und Latiner als weiteres ethnisches Element in Unteritalien immer stärker in Aktion, während in der Frühzeit vom 8. bis zum 5. Jh. die Etrusker einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf Campanien ausgeübt hatten. Das phönikisch-punische Element spielte dagegen nur in Westsizilien und auf Sardinien eine wichtigere Rolle. Für die historische und kulturelle Entwicklung in frühhellenistischer Zeit war schließlich auch das Eingreifen mehrerer sog. griechischer Condottieri wie etwa Alexanders des Molossers und Pyrrhos in Unteritalien von besonderer Bedeutung. Bereits im Laufe des 3. Jhs. hatten sich die Römer militärisch in Unteritalien durchgesetzt, doch wurde der Prozess der endgültigen Romanisierung nochmal von den Wirren des 2. punischen oder sog, hannibalischen Krieges unterbrochen. Auch in der römischen Kaiserzeit lebten in einigen Städten wie vor allem in Neapel griechische Sprache und Kultur fort.

Das unteritalische und speziell apulische Sepulkralwesen besonders der frühhellenistischen Zeit wurde zum einen durch eine Monumentalisierung und ausgeprägte Bereicherung der Grabarchitektur sowie die Einführung innovativer Grabtypen (wie vor allem Kammergräber) und Grabmonumente (wie etwa reliefgeschmückte Naiskoi und diverse steinerne Semata) charakterisiert, zum anderen aber auch durch eine Blüte der vorher nur sporadisch vertretenen Grabmalerei sowie einen teilweisen Wandel in den Bestattungssitten (etwa im Übergang von der Hocker- zur Liegestellung bei Körperbestattungen und im stärkeren Aurkommen von Brandbestattungen), in der Lage und Anordnung der Nekropolen und Gräber (bei der jetzt stärker rationelle und repräsentative Gesichtspunkte berücksichtigt werden), im Totenkult und in den Beigabenbräuchen (hervorzuheben sind hier etwa monumentale Prunkgefäße mit rein sepulkraler Funktion, neue Denkmälergattungen wie etwa polychrome und vergoldete Vasen, die Kumulierung bestimmter Beigabenarten, die Miniaturisierung verschiedener Gefäßtypen, “exotische” Luxusprodukte aus Glas und Silber, Handelsamphoren etc.). Einige dieser Innovationen hatten sich bereits vorher angedeutet. Typisch für die frühhellenistische Periode sind zudem die Betonung der Einzelpersönlichkeit und Exaltierung des Gentilizverbandes bei den Bestattungen der Eliteschichten. So wurden bestimmte Gräber und Nekropolenbereiche durch Monumentalität, reiche architektonische und malerische Ausstattung, besondere Bestattungssitten, exponierte Lage, reiche oder extravagante Beigaben und einen ausgeprägten, z.T. heroenartigen Totenkult gekennzeichnet und damit bewußt von den normalen Nekropolenzonen und Gräbern des einfachen Mannes abgesetzt. Diese Tendenzen hielten teilweise noch bis in die hochhellenistische Zeit hinein an, fanden dann aber im ausgehenden 3. Jh. v.Chr. in vielen Nekropolen durch den tiefen Einschnitt des zweiten punischen Krieges ihr Endeund wichen teilweise neuen, nun primär römischmittelitalisch geprägten Grabsitten.

Unter den zahlreichen in Unteritalien nachgewiesenen Grabtypen wie Kammer-, Halbkammer-, Grotticella-, Cassone-, Sarkophag-, Fossa-, Ziegel- und Cappuccina-, Enchytrismos- sowie Pozzograb verdient zweifellos die Gruppe der Kammergräber das größte Interesse. Dieser monumentalste und aufwendigste Grabtypus - teils aus Steinblöcken gebaut, teils aus dem Felsen gehöhlt - weist meistens nur eine Kammer auf, doch gibt es auch Grundrißformen mit zwei oder drei Kammern hintereinander oder nebeneinander oder mit kreuzförmig angeordneten Kammern. Die größten canosiner Hypogäen besitzen bis zu 9 Kammern. Die meisten Kammergräber zeichnen sich durch Dromos und Vestibulum aus. Sowohl Außenfassade als auch Innenräume können architektonisch ausgestaltet, stuckiert und bemalt sein. Kammergräber finden sich zwar in sämtlichen Regionen Unteritaliens, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Tarent besitzt mit Abstand die meisten Beispiele, nämlich mehr als 170, die leider bisher großenteils nur ungenügend publiziert sind. In Daunien liegt der Schwerpunkt in Canosa und Arpi, in Peuketien in Gravina, in Messapien in Egnazia und Rudiae, in Campanien in Capua, Cumae und Neapel, in Lukanien in Paestum und in Bruttium in Rhegion. Sie finden sich sowohl in griechischen als auch in italischen Nekropolen und zwar sowohl im urbanen Bereich wie auch isoliert nahe von kleineren Siedlungen oder Gutshöfen. Eindeutiger chronologischer Schwerpunkt der Kammergräber ist die frühhellenistische Periode, eine Zeit allgemein großen Wandels und ausgeprägter Monumentalisierungstendenzen in der Architektur, doch wurden auch in hoch- und gelegentlich sogar noch in späthellenistischer Zeit Kammergräber angelegt. Dagegen datieren - im Gegensatz etwa zu den etruskischen Nekropolen - nur relativ wenige Beispiele in die Zeit vor der Mitte des 4.Jhs. v.Chr. Aus archaischer Zeit stammen einige campanische Gräber in Capua, Cumae und Pontecagnano, vor allem aber eine Gruppe von tarentiner Gräbern des ausgehenden 6. und der ersten Jahrzehnte des 5.Jhs. v.Chr., die aristokratischen Athletenvereinigungen bzw. Fratrien vorbehalten waren, was nicht zuletzt aus den Grabbeigaben wie etwa den panathenäischen Preisamphoren hervorgeht. Diese spätarchaischen tarentiner Kammergräber sind meist im unteren Teil ausgehöhlt und im oberen aus bis zu zwei Meter langen Carparoblöcken gebaut und zeichnen sich durch Satteldächer, dorische Säulen oder Pfeiler sowie Sarkophage für die Bestattungen aus. Während die frühen campanischen Kammergräber, speziell in Capua, nicht zuletzt aus kulturhistorischen Gründen von etruskischen Vorbildern beeinflußt sein dürften, bildet die tarentiner Gruppe zu diesem Zeitpunkt ein Unicum in Unteritalien und findet auch in Tarent selbst keine unmittelbare Nachfolge. Das weitgehende Aufhören dieser Gräber nach 480/70 hängt sicher nicht zuletzt mit dem Ende des oligarchischen Systems und einer daraus resultierenden politischen Demokratisierung in Tarent zusammen. In der zweiten Hälfte des 5. und der ersten Hälfte des 4. Jhs. v.Chr. gibt es lediglich im peuketischen Gravina und im daunischen Canosa einige monumentalere Gräber, die typologisch zwischen dem in Apulien schon vorher verbreiteten indigenen Grotticellagrab und dem Kammergrab stehen. Erst seit der zweiten Hälfte des 4. Jhs. erlebte der Kammergrabtypus seine große Blüte, wobei er aber auch jetzt innerhalb der unteritalischen Nekropolen immer noch eine Ausnahme oder Minderheit darstellte und ganz offensichtlich den Angehörigen der jeweiligen lokalen, griechischen oder italischen, kulturell stark hellenisierten Eliteschicht vorbehalten blieb, deren eminente Stellung auf ihrem militärischen oder Beamtenstatus, auf Grundbesitz (vor allem Getreideanbau und Tierzucht) und auf (Fern)handel basierte. Auch Quantität und Qualität der Beigaben, sofern noch angetroffen, unterstreichen den herausragenden sozialen Status der in diesen Gentilizgräbern Bestatteten. Trotz vereinzelter, typologisch aber verschiedener Vorläufer in Unteritalien ist der Kammergrabtypus primär als frühhellenistische, von außen aus dem griechischen Bereich übernommene Innovation und nicht als unteritalisch-indigene Evolution zu werten. Besonders die frühhellenistischen tonnengewölbten Kammergräber in Apulien und Campanien zeigen diesen starken griechischen, hier speziell makedonischen Einfluß ganz evident.

Besonderes Interesse verdient auch das Phänomen der unteritalischen Grabmalerei, die nach den etruskischen Grabmalereien den größten, wenn auch bisher nur wenig bekannten Komplex antiker Wandmalerei im vorrömischen Italien bildet. Ein Blick auf die Verbreitungskarte zeigt, daß sich Gräber mit Malereien auf weite Bereiche Unteritaliens verteilen, daß sich dabei aber auch deutliche Schwerpunkte herauskristallisieren wie in den Golfzonen von Neapel, Salerno und Tarent mit ihrem jeweiligen Hinterland. Schwerpunkte in Daunien sind Arpi und Canosa, in Peuketien Monte Sannace und Gravina, in Messapien Egnazia und Rudiae, in der tarentiner Chora Tarent selbst, in Campanien Neapel und Capua und in Lukanien Paestum mit den meisten ausgemalten Gräbern Unteritaliens überhaupt (circa 130). Die meistenBeispiele finden sich in Orten mit italisch-indigener Bevölkerung, während unter den griechischen Metropolen Unteritaliens lediglich Tarent und Neapel über eine ausgeprügte Grabmalerei verfügten und eine solche in den römischen bzw. Iatinischen Kolonieneugründungen völlig fehlte. Insofern muß diese Denkmälergattung als ein in erster Linie von einheimischen italischen Volksstämmen vor allem campanisch-lukanischer und apulischer Prägung getragenes Phänomen verstanden werden, das sich von der Wende vom 6. zum 5. Jh. bis in die zweite Hälfte des 2. Jhs. v.Chr., also über einen Zeitraum von annähernd vier Jahrhunderten erstreckte und in der zweiten Hälfte des 4. sowie ersten Hälfte des 3 . Jhs. seinen unbestrittenen Höhepunkt erlebte. Die ältesten spätarchaischen Grabmalereien stammen aus Tarent (nur ornamentale und vegetabile Motive) sowie aus Capua und Paestum (hier figürliche Motive), die jüngsten aus dem 2. Jh. aus Tarent. Wir können festhalten, daß die unteritalischen Nekropolen des 7. und 6. Jhs. im Gegensatz etwa zu Etrurien und Kleinasien noch keine Grabmalerei gekannt haben. Dieses phänomen scheint in der Spätarchaik gegen 500 einerseits vom griechischen Tarent, andererseits vom etruskisierten Capua ausgegangen zu sein, ohne freilich in der folgenden klassischen Periode allzu großen Widerhall zu finden. Dem etwas früheren Beginn der lukanischen Grabmalerei in Paestum an der Wende vom 5. zum 4. Jh. folgte dann nach der Mitte des 4. Jhs. gleichsam eine Explosion des Phänomens in weiten Teilen Unteritaliens, das mit der Romanisierung' im mittleren 3. Jh. ein relativ rasches Ende 'nahm und lediglich in der politisch zwar entmachteten, kulturell aber immer noch bedeutenden griechischen Metropole Tarent weiterblühte. Der Hühepunkt der unteritalischen Grabmalerei fällt somit in eine Zeit, in der die Grabmalerei auch in anderen Randgebieten der griechischen Kultur wie in Makedonien, Thrakien, Südrußland und Alexandria eine besondere Blüte erlebte. Im Gegensatz etwa zu Etrurien schmücken die unteritalischen Malereien nicht nur Kammergräber, sondern auch andere,einfachere Grabtypen wie Halbkammergrab, Sarkophag- und Cassonegrab sowie Fossagrab. Während sich bemalte Halbkammer- und Fossagräber fast ausschließlich in Apulien finden, konzentrieren sich die meisten ausgemalten Cassonegräber auf Campanien und Lukanien und hier speziell auf Paestum. Die Cassoni enthalten zudem die größte Anzahl figürlicher Malereien in Unteritalien.

Das reiche ikonografische Spektrum der unteritalischen Grabmalereien könnte man in 5 Hauptgruppen unterteilen, nämlich in architektonische Motive, ornamentale Motive, vegetabil-floreale Motive, Antiquaria/Gegenstände und figürliche Motive. Letztere Gruppe könnte man wiederum in Tiere, Götter und mythologische Wesen sowie figürliche Szenen unterteilen. Generell läßt sich sagen, daß die figürliche Malerei sich in erster Linie auf den paestaner Raum und einige Zentren Nordcampaniens konzentrierte und sich somit weitgehend auf die Nekropolen der ostitalisch-samnitischen Bevölkerungsgruppen beschränkte, während etwa in den Gräbern Apuliens eindeutig architektonische und vegetabile Motive überwogen. Während die Wiedergabe griechischer Mythen in der unteritalischen Grabmalerei so gut wie keine Rolle spielte, bildeten vor allem Grabspiele zu Ehren des Verstorbenen wie Wagenrennen, Ringkampf, Boxkampf und das bewaffnete Duell einen wichtigen Themenkreis. Charakteristisch für Männergräber können Jagd-, Reiter- und Krieger-szenen sein, vor allem der sog. “ritorno del guerriero”, also die siegreiche Heimkehr des als Krieger verherrlichten und heroisierten Grabinhabers. Typisch für Frauengräber sind dagegen Prothesis und Totenklage sowie Szenen im weiblichen Oikos wie etwa die Grabherrin bei der Toilette oder beim Wollespinnen. Manche Szenen sollen offenbar die Reise ins Jenseits symbolisieren. In einem paestaner Grab aus der Zeit um 330/20 finden wir möglicherweise einen bewußten Hinweis auf zeitgenössisches Geschehen, etwa eine Schlacht der paestanischen Lukaner gegen die Tarentiner unter Führung von Alexander dem Molosser, in welcher der Grabinhaber sein Leben ließ. Jedenfalls sind die Aussagemöglichkeiten der in mancher Hinsicht singulären und sich durch Neufunde laufend vermehrenden Denkmälergattung der unteritalischen Grabmalerei noch lange nicht ausgeschöpft.

■ BIBIIOGRAFIE

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