ETRURIEN



ETRUSKISCHE NEKROPOLEN, GRÄBER UND GRAB MALEREIEN

Stephan Steingräber


“It is a spot which should not fail to be visited by everyone who feels interest in the antiquities of early Italy.”

“Uno dei territori più singolari e suggestivi dell'Italia centrale è senza dubbio la zona delle necropoli rupestri dell'Etruria meridionale interna. L'incontro fra l'opera umana, con le sue forme evocatrici ed i suoi tagli a volte immani, e la materia naturale cosi lavorata; il fascino selvaggio dei luoghi,ancora in parte(ma per quanto?)vergini, e il contrasto cromatico tra la vegetazione e i rossi vivi e i grigi caldi del tufo;l'impressione di fantastici miraggi di città del passato che sembrano sorgere tra le macchie dall'addensarsi delle sagome delle tombe intagliate:tutto questo rappresenta una delle più tipiche manifestazioni di simbiosi fra archeologia e paesaggio,che si conoscono nella nostra penisola.”

Auf solch unterschiedliche Weise und in einem zeitlichen Abstand von mehr als 100 Jahren beschrieben zwei berühmte Etrurienkenner eine der schönsten und singulärsten Landschaften Etruriens,nämlich die vulkanisch geprägte südetruskische Felsgräberzone bzw.auch als Tuscia bekannte Gegend in der heutigen Provincia di Viterbo.Das erste,typisch englisch knappe Zitat stammt von George Dennis,dem gelehrten Diplomaten,Reisenden und Schriftsteller,der seine Etrurienerlebnisse und impressionen aus den 40er Jahren des 19.Jh. erstmals 1848 unter dem Titel “The Cities and Cemeteries of Etruria” veröffentlichte.Dieses mit Zeichnungen illustrierte Etrurienbuch,das eine nacnhaltige Wirkung auf kommende Generationen von Etrurienreisenden hatte und geradezu zu einem Klassiker der englischen Literatur wurde,ist auch heute noch ein durchaus wertvoller und anregender Reisebegleiter.Das zweite,wesentlich wortreichere und blumigere italienische Zitat verdanken wir dagegen Massimo Pallottino (in einer Einleitung zu einem Buch von G.und E.Colonna über die Felsgräbernekropole von Castel d'Asso,1970), dem Nestor und Begründer der modernen Etruskologie, der 1995 nach einem erfüllten Wissensehaftlerleben in seiner Heimatstadt Rom verstarb und der zu den bedeutendsten Altertumswissenschaftlern dieses Jahrhunderts überhaupt gezählt werden kann.

Vor allem aus letzterem Zitat gehen bereits zwei wesentliche Charakteristiken Etruriens hervor,nämlich zum einen die auch heute noch oft erlebbare großartige Symbiose aus Archäologie und Landschaft,aus historischen Monumenten und Natur, aus Vergangenheit und Gegenwart und zum anderen die große Anzahl und Faszination der Nekropolen und Gräber, die bis heute die etruskischen Landschaften wie auch unsere Vorstellung von Etrurien und etruskischer Kultur beherrschen.Zwar haben sich unsere Kenntnisse der etruskischen Siedlungen und Profanarchitektur, der Heiligtümer und Sakralarchitektur dank zahlreicher Neuentdeckungen und systematischer Grabungen in den letzten Jahrzehnten beträchtlich verbessert, doch sind es immer noch die Totenstädte, also die Nekropolen mit ihren Tausenden von oft monumentalen Gräbern, ihren zahlreichen Grabtypen, ihren architektonischen und z.T. auch malerischen Verzierungen und ihren oft reichen Beigaben, die uns die meisten Informationen über Kultur und Kunst der Etrusker, deren Alltagsleben, religiöse und Jenseitsvorstellungen sowie Bestattungssitten und Totenkult liefern. Nur wenige antike Mittelmeerkulturen haben der Nachwelt eine solch aufschlußreiche, aufwendige und dabei doch so differenzierte, oft auch noch gut erhaltene Grabarchitektur hinterlassen wie die Etrusker und zwar über einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren, nämlich vom frühen 7.Jh. bis zum 2.Jh.v.Chr.

Die Typologie und Eigenart etruskischer Gräber ist maßgeblich von der Geologie der jeweiligen Landschaft, z.T. aber auch von den unterschiedlichen lokalen Bestattungssitten und Traditionen bestimmt, wie die etruskische Kultur und Kunst ja überhaupt stark regional und lokal differenziert war. So sind im Nordteil Etruriens (= Toscana und Westumbrien), der vorwiegend von Kalk- und Sandsteinformationen geprägt ist und dessen Städte auf Hügeln künstlich mit wehrhaften Mauern befestigt werden mußten, die Gräber fast ausschließlich aus Steinblöcken und -platten gebaut, während in dem vulkanischen, von tiefen Schluchten, Hochplateaus mit Siedlungen und Kraterseen charakterisierten Südetrurien (= Nordlatium) ausgehöhlte bzw. aus dem weichen, rotbräunlichen Tuffgestein herausgehauene Gräber vorherrschen. Die Etrusker kannten sowohl die Körper- als auch die Brandbestattung, wobei je nach Region und Periode die eine oder andere Sitte deutlich überwiegen konnte.

In der von der sog. Villanovakultur geprägten frühen Eisenzeit des 9. und 8.Jh.v.Chr. wurden die keramischen Aschenurnen, z.T. in Steinkustodien, in aus dem Boden gehöhlten Pozzetto- oder Doppelschachtgräbern beigesetzt. Mit dem zunehmenden Auikommen der Kdrperbestattungen höhlte man langrechteckige Fossagräber für die Leichname im Boden aus. Aus dieser auch spater immer wieder vorkommenden einfachen Grabform entwickelten sich wahrscheinlich gegen 700 die ersten primitiven Kanumergraber mit gebautem unechtem Kraggewölbe. Dieser Übergang läßt sich besonders gut in Cerveteri - einer der bevölkerungsreichsten Städte im Mittelmeerraum wätlrend des 7. und 6.Jh. - nachvollziehen, wo uns die weitläufigsten, monumentalsten und am besten erhaltenen Nekropolen Etruriens überkommen sind. Aber auch im Nordwesten in der etruskischen Hafen- und Eisenerzmetropole Populonia finden sich die ältesten - hier gebauten - Kammergrabstrukturen bereits an der Wende vom 8. zum 7.Jh. Ge-meinsam waren diesen großen Aristokratengräbernder sog. orientalisierenden Periode des 7. und frühen 6.Jh. große Tumuli mit bis zu 70 m Durchmesser, die manchmal auch zwei, drei oder vier Grabanlagen enthalten konnten, in denen mehrere Generationen einer Familie bestattet wurden. Oft konnten sie auf Rampen fur Opfer und kultische Feiern bestiegen werden. Die besten Vergleichsbeispiele für solche Fürstentumuli außerhalb Etruriens finden sich in Kleinasien und hier speziell in Lydien (woher die Etrusker nach Herodot <I 94> usprünglich gestammt hätten; diese Theorie ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten).

In Cerveteri und Teilen Südetruriens überwogen dann in der ersten Hälfte des 6.Jh. kleinere, z.T. schon systematisch auf Straben ausgerichtete Tumuli und in der zweiten Hälfte des 6. und während des 5.Jh. Würfelgräber, die sich wie Reihenhäuser in ein orthogonales Gräberstraßennetz einfügen. In dieser Regulierung der Nekropolen spiegeln sich auch neue urbanistische Prinzipien und eine zunehmende soziale Nivellierung der Bevölkerung wider. Besonders in Cerveteri vollzog sich in dem Zeitraum von der ersten Hälfte des 7. bis zum frühen 5.Jh. eine höchst interessante und differenzierte Entwicklung in der Grabarchitektur, die sich in mehrere Phasen und Grabtypen unterteilen läßt. Die Caeretaner Grabanlagen bestehen oft aus Dromos und mehreren Kammern und zeichnen sich durch ihre reiche Innenarchitektur mit Türen, Fenstern, Balken- und Kassettendecken, Pfeilern und Säulen, Totenbetten und Sarkophagen, Thronen und Altären, Körben und reliefierten Schilden aus. Elemente aus der - viel schlechter erhaltenen - Hausarchitektur und sogar Mobiliar sind hier im Grabbereich in Tuff umgesetzt worden und geben so der letzten Ruhestätte der etruskischen Toten einen gleichsam häuslichen Charakter.

In Nordetrurien finden wir im späteren Orientalizzante des ausgehenden 7. und frühen 6.Jh. vor allem Tholosgräber mit rundem Grundriß und vorkragender Pseudokuppel (vor allem bei Firenze und Volterra), die an mykenische Gräber erinnern sowie rechteckige Kammergräber mit linearem Kraggewölbe (z.B. in Cortona und Castellina in Chianti, aber auch weiter südlich in Orvieto), wie wir sie auch aus andeten Gebieten des Mittelmeerund Schwarzmeerraums kennen (Kleinasien, Thrakien, Sudrußland) . Eine Sondervariante von Kammergräbern mit viereckigem Grundriß, Eckpendentifs und runder Pseudokuppel ist nur in den nordwestetruskischen Zentren Populonia und Vetulonia dokumentiert. Auf die Zonen von Vetulonia und Marsiliana d'Albegna beschränkt bleiben sog. Circologräber, deren Steinkreise Fossa- oder Pozzettogräber bzw. Grabgruppen umschließen. In der späteren archaischen Zeit, d.h. in der zweiten Hälfte des 6.Jh. wurden in Populonia die Tumuli durch rechteckige gebaute sog. Aediculagräber in hausbzw. tempiettoförmiger Gestalt mit Giebeldach abgelöst.

Neben den teils gebauten, teils aus dem anstehenden Gestein gearbeiteten Würfelgräbern der späteren archaischen Phase von Orvieto und Cerveteri kamen im 6.Jh. in der vulkanischen südetruskischen Binnenzone um Blera, San Giuliano und Tuscania würfel- und hausförmige Felsgrabtypen auf, die in die hohen Felswände der Tuffschluchten eingearbeitet wurden und deren Dächer meist auf seitlichen Treppen bestiegen werden konnten und Altarfunktion hatten. Das Phänomen der Felsgrabarchitektur - primär geologisch bedingt - ist uns auch aus anderen Zonen des Mittelmeerraums bekannt, vor allem aus dem südwestlichen Kleinasien (Lykien, Karien). Die südetruskischen Felsgräber nahmen im Laufe der Zeit immer größere Dimensionen an, wobei seit dem 4.Jh. die eigentliche Grabkammer unter die Fassade verlegt und diese nun zur reinen Scheinfassade mit reliefierter Scheintüre wurde, wie am besten die gut erhaltenen Felswürfelgraber von Norchia und Castel d'Asso demonstrieren. In der südetruskischen Felsgrabarchitektur sind außer den Würfel-,Haus-,Aedicula- und Porticusgräbern vor allem die großartigen Tempelgräber des 3.Jh. von Norchia und Sovana hervorzuheben, die mit Säulen, skulpierten Giebeln und Relieffriesen geschmückt sind und ursprünglich auch z.T. stuckiert und bemalt waren. Konzeptionell und “ideologisch” stehen hinter ihnen sicher die großen hellenistischen Mausoleen und Heroa vor allem im ostgriechischkleinasiatischen Bereich, während ihre reiche Afchitekturornamentik eindeutig auf großgriechische Modelle speziell apulisch-tarentiner Pragung zurückgeht.

In frühhellenistischer Zeit verdient in Cerveteri nochmal eine Gruppe reicher unterirdischer Gentilizgräber mit raffinierter innenarchitektonischer Ausstattung Beachtung, in denen die Hauptbestattung auf Steinklinen besonders betont wird. Die mit Stuckreliefs verzierte Tomba dei Rilievi der Familie Matunas aus der Zeit um 300 bildet hierfür das schönste Beispiel. Neben einfachen rechteckigen und runden Hypogäen gibt es im hellenistischen Nordetrurien in einigen Zonen wie bei Chiusi, Cortona und Perugia gebaute Kammergräber mit echtem Tonnengewölbe aus Keilsteinen. Vereinzelte Vorläufer finden sich gegen 300 schon in Cerveteri (Tomba dei Demoni: Fassade mit Skulpturenschmuck) und bei Orvieto. Dieser charakteristische Grabtypus ist eindeutig vom beruhmten sog. makedonischen Typ inspiriert und wahrscheinlich mit Vermittlung Unteritaliens (wir finden ihn auch in Apulien und Campanien) nach Etrurien gelangt. Der Typus des altitalischen Atriumhauses spiegelt sich dagegen im bekannten lpogeo dei Volumni bei Perugia aus dem 2.Jh. wider, das reich verzierte Kassettendecken und eine große Anzahl reliefgeschmückter Urnen aufweist. Solche Urnen aus Alabaster, Travertin, Tuff oder Terrakotta mit reliefverzierten Kästen und mit der gelagerten Figur des Verstorbenen auf dem Deckel sind charakteristisch für die hellenistischen Gentilizgräber Nordetruriens, wo die Brandbestattung klar dominierte. In den späten Kammergräbern Südetruriens, vor allem in Tarquinia und seinem Hinterland, finden wir dagegen zahlreiche reliefund/oder malereigeschmückte Sarkophage für die dort vorherrschenden Körperbestattungen.

Neben all diesen monumentaleren und aufwendigeren Gräbern - die spätesten datieren in das 2.Jh.v.Chr. - gab es in Etrurien natürlich auch in allen Perioden wesentlich einfachere und bescheidenere Gräber für den “kleinen Mann” wie Fossaund Loculusgräber fur Körper- sowie Nischengräber für Brandbestattungen. In den Tuffzonen Südetruriens, wurden - z.T. in älteren etruskischen Kammergräbern - in der spätrepublikanischen und frühen römischen Kaiserzeit die sog. Columbarien mit ihren charakteristischen Nischenreihen für kleine Brandurnen angelegt. Viele der etruskischen Gräber wurden übrigens von steinernen Cippi z.T. monumentalen Formats gekennzeichnet, die formal sehr verschieden sind und im, vor oder auf dem Grab aufgestellt sein konnten. Gerade in Stidetrurien finden wir in oder nahe der Nekropolen auch weitere Felsmonumente mit vorwiegend totenkultischer Funktion wie Altäre, Throne, gestufte Monumente und mit Stufen fur Zuschauer umgebene, fast theaterförmige Anlagen.

Auf die zahlreichen, in vielen etruskischen Grabern noch angetroffenen Beigaben - Ieider werden bis heute immer wieder etruskische Gräber ein Opfer der profitsüchtigen Tombaroli, und dadurch archäologisch-historische Kontexte unwiederbringlich zerstört die im Orientalizzante am bringlich zerstört - , die im Orientalizzante am prunkvollsten waren und vor allem Keramik und (Edel)Metallgeräte, darunter auch zahlreiche Importe aus dem Orient und aus verschiedenen griechischen Zonen, umfaßten, kann hier nur kurz verwiesen werden. Gerade in der Frühzeit wurde der Tote in Etrurien gleichsam inmitten seines Hausrats und von ihm im Leben teuren Gegenständen in einem hausartigen Ambiente bestattet und damit symbolisch sicher auch für seine Reise ins Jenseits versorgt.

Aus diesem kurzen überblick gehen eindeutig Aufwand und Vielfältigkeit der etruskischen Grabarchitektur und des etruskischen Totenkults hervor, wie sie in dieser Weise im griechischen Bereich, vor allem auf dem griechischen Festland nicht zu finden sind. Einem heutigen Etrurienreisenden, der nicht allzuviel Zeit hat, sollte vor allem der Besuch der Nekropolen und herausragenden Gräber von Populonia, Tarquinia, Cerveteri und der südetruskischen Felsgraberzone empfohlen werden, der zugleich auch unvergessliche und dabei sehr verschiedenartige Landschaftseindriicke beinhaltet.

Soeben fiel das Stichwort der altehrwtirdigen südetruskischen Küstenmetropole Tarquinia und damit sind wir bei der etruskischen Grabmalerei angelangt, die hier wie an keinem anderen Ort in Etrurien dokumentiert ist und die zu den Höhepunkten etruskischer Kunst überhaupt gehört. Schon der bekannte englische Schriftsteller D.H.Lawrence war überwältigt und ganz verzaubert von diesen farbenprächtigen Fresken in den unterirdischen Kammergräbern der Monterozzi- Nekropole von Tarquinia und schildert seine - sehr phantasiereichen - Impressionen in seinem Buch “Etruscan Places” von 1932. Die besondere Bedeutung der etruskischen und speziell tarquinischen Grabmalerei beruht nicht zuletzt darin, daßsie als größter antiker Malereikomplex aus vorrömischer Zeit einen gewissen - wenn auch nur unvollkommenen - Ersatz für die fast vollständig verlorene griechische Monumentalmalerei bildet, von der sie teilweise - zumindest indirekt - ihre Einflüsse empfangen hatte. Das Phänomen der Grabmalerei ist im Grunde ja ein ungriechisches und blieb vor allem auf Randbereiche der griechischen Welt und mit ihr in Beziehung stehende Kulturgebiete beschränkt wie etwa Makedonien, Thrakien, Südrußland, Teile Kleinasiens (wie Lykien und Lydien) , Alexandria, Unteritalien (hier vorwiegend in den italischen, nichtgriechischen Zentren) und eben Etrurien. Monumentale Malerei im griechischen Mutterland - wo zudem die Sitte der Kammergrabbestattung weitgehend unbekannt war - schmückte fast ausschließlich sakrale und öffentliche Gebäude. Von den rund 200 ausgemalten Gräbern Etruriens konzentrieren sich circa 80 % auf Tarquinia; als weitere Fundorte sind vor allem noch Veii, Cerveteri, Vulci und Chiusi zu nennen, wahrend in Nordetrurien Grabmalereien weitgehend unbekannt blieben. Das Phänomen setzte bereits im zweiten Viertel des 7.Jh. ein, erreichte einen ersten Höhepunkt in den letzten Jahrzehnten des 6. und in der ersten Hälfte des 5.Jh., blühte nach einem gewissen Niedergang nocheinmal in der zweiten Häifte des 4. und der ersten Hälfte des 3.Jh. auf, um dann in den ersten Jahrzehnten des 2.Jh.v.Chr, endgültig auszuklingen.

Aber auch in der “Hauptstadt” der etruskischen Grabmalerei - eben in Tarquinia - sind unter den etwa rund 6000 bekannten Kammergräbern noch nicht einmal drei Prozent ausgemalt, was ein bezeichnendes Licht auf die hohe soziale Stellung der einsti~en Inhaber und ihrer Familien wirft, deren Namen wir durch Inschriften vor allem aus den späteren Gräbern oft kennen. Die ersten Entdeckungen etruskischer Grabmalereien gehen wahrscheinlich auf die Renaissance zurück, doch setzten sie in größerem Umfang erst im 18.Jh. ein. Die reichen Entdeckungen in der ersten Hälfte des 19.Jh. führten zu einem richtigen Etruskerboom und schlugen sich in zahlreichen Zeichnungen,Pausen und Faksimile - vor allem des italienischen Malers Carlo Ruspi - nieder, wie sie etwa im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom autbewahrt und in dieser Ausstellung nun erstmals in Japan gezeigt werden. Dank des systematischen Einsatzes neuer geophysikalischer Methoden durch die Mailänder Fondazione Lerici kamen seit Ende der 50er Jahre unseres Jahrhunderts nochmals mehrere Dutzend ausgemalter Kammergräber auf dem Monterozzi-Hügelrücken bei Tarquinia zu Tage und verbesserten unsere Kenntnis etruskischer. Wandmalerei beträchtlich. Einige Grabmalereien wurden von den Wänden abgenommen und sind heute im archäologischen Museum von Tarquinia im prächtigen Frührenaissance-Palazzo Vitelleschi ausgestellt, das zu den wichtigsten Museen etruskischer Kunst gehört. Den besten und lebendigsten Eindruck vermitteln freilich die noch in den Gräbern in situ befindlichen Malereien, auch wenn der normale Besucher heute nur noch eine Auswahl von ihnen durch hermetisch versiegelte Glastüren bewundern kann. 1985 wurden die bis dahin bekannten etruskischen Grabmalereien in einem reich illustrierten Corpus erstmals systematisch erfaßt und publiziert, wobei der Autor dieses Artikels als Herausgeber fungierte. In das Jahr 1986 fiel die jüngste Entdeckung eines ausgemalten Grabes in Tarquinia, als man unter der modernen Straße von Monterozzi auf die Tomba dei Demoni Azzurri mit durchaus sensationeller Thematik, nämlich den ältesten Darstellungen etruskischer Todesdämonen aus der Zeit um 400 v.Chr. stieß.

Die Malereien schmücken durchgehend Kammergräber, meist einräumig, in der späteren Zeit aber manchmal auch mehrere Räume umfassend. Während anfangs die - meist aus Pflanzen und natürlichen Mineralien gewonnenen - Farben noch direkt auf die geglätteten Steinwände aufgetragen wurden, trug der Maler sie seit dem 6.Jh. in Frescotechnik auf den noch feuchten, aus einer Lehmschicht und einem dünnen Kalkmilchüzug bestehenden Verputz auf, nachdem eine Vorzeichnung oder auch Votritzung vorausgegangen war. Anordnung der Malereien, Maltechnik, Farbpalette, Stil, Thematik, Bedeutung und “Ideologie” waren im Laufe der circa 500 Jahre dauernden Geschichte der etruskischen Grabmalerei natürlich starken Veränderungen unterworfen. Am Anfang dieser Entwicklung steht ein kleinfiguriger, ganz einfacher Entenfries italo-geometrischeri Stils in der Tomba delle Anatre von Veii, am Ende etwa ein großfiguriger schlangenfüßiger Typhon von großer Plastizität mit Chiaroscuroeffekten auf dem Zentralpilaster in der Tomba del Tifone von Tarquinia. In der sog. orientalisierenden Periode des 7. und frühen 6.Jh. herrschten Ornamente und meist kleinfigurige Tierfriese vor, in der ersten Hälfte des 6.Jh. tektonische, den Hauscharakter des Grabraumes unterstreichende Elemente und imdritten Viertel des 6.Jh. konzentrieren sich die -überwiegend Tier- -Darstellungen vor allem auf die Giebel. Erst seit dem letzten Viertel des 6.Jh. treten großformatige, wandfullende figürliche Darstellungen auf, die wir getrost als - griechisch gesprochen - Megalographien klassifizieten können. Dazu gehören vor allem Bankett-, Tanz- und Musik-, sportliche Wettkampf- und Gauklerszenen, seltener Jagd- und Fischfang-, Prothesis- und mythologische Szenen (wie etwa die kurz bevorstehende Ermordung des trojanischen Königssohnes Troilos durch den griechischen Heroen Achilles in der Tomba dei Tori von Tarquinia) sowie das charakteristisch etruskische Phersuspiel, bei dem ein maskierter Mann einen wilden Hund auf einen Mann hetzt, dessen Kopf in einem Sack steckt und der sich nur mit einer Keule verteidigen kann. Im 5.Jh. kommen vor allem Palastraszenen hinzu, aber auch speziellere Darstellungen wie z.B. eine Hafenbucht mit einem Zweimaster-Handelsschiff (Tomba della Nave in Tarquinia). All diese alteren etruskischen Grabmalereien zeichnen sich im allgemeinen durch eine kräftige Farbgebung, Lebendigkeit, minuziöse episodische Wiedergaben, Landschaftselemente und einen heiteren Grundtenor aus. Offensichtlich sollte zum einen der aristokratische Status des Grabinhabers betont, zum anderen die Wichtigkeit der Riten und Wettspiele zu Ehren des Verstorbenen und der Ahnen hervorgehoben werden. Auffallend ist die fast gleichwertige Rolle der adligen etruskischen Frau, wie sie vor allem durch deren Teilnahme am Bankett auf der Kline verdeutlicht wird.

Im 4.Jh. fand ein grundsätzlicher Wandel in Stil, Thematik und Bedeutung der etruskischen Grabmalerei statt. Die Szenen - zunächst auch noch Bankett-, dann zunehmend Abschieds-, Reise-, Prozessions- und auch mythologische Darstellungen, sind in den Hades, also die Unterwelt verlegt, die häufig von typisch etruskischen Todesdämonen von furchterregendem Aussehen bevölkert ist, beinhalten eine wesentlich stärkere Jenseitssymbolik und vermitteln eher eine pessimistische Grundeinstellung. Häufig sind mehrere Generationen einer Adelsfamilie in einer Art Ahnengalerie bildlich dargestellt und durch Inschriften, d.h.Elogien in ihrer jeweiligen Rolle klassifiziert. Der Gentilizcharakter kommt bei diesen späteren Gräbern wie z.B. der Tomba degli Scudi von Tarquinia deutlich zum Ausdruck. Auch auf historische Ereignisse, d.h. auf die entscheidenden und letztlich fatalen knegerischen Auseinandersetzungen mit den Römern wird bisweilen - wenn auch nur indirekt -Bezug genommen. Die endgültige Romanisierung Etruriens hatte u.a. auch das Ende der etruskischen Grabmalerei zur Folge.

Die etruskische Grab- und Monumentalmalerei ist sicher - wie auch sonst weite Bereiche der etruskischen Kunst - nicht ohne griechische Einflüsse in ikonografischer und vor allem stilistischer Hinsicht denkbar. Diese Einflüsse waren freilich im Laufe der Jahrhunderte von unterschiedlicher Provenienz. So überwogen im fortgeschrittenen 7. und frühen 6.Jh. korinthische, in der zweiteh Häifte des 6.Jh. eindeutig ostgriechisch-jonische, im 5.Jh. attische, im 4. und frühen 3.Jh. großgriechisch-un-teritalische und in der Spätzeit schließlich hochhellenistische Einflüsse kleinasiatischpergamenischer Prägung. Wie gelangten diese unterschiedlichen griechischen Einflüsse nach Etrurien ? Seit dem 7.Jh. ist die Präsenz von Griechen in Etrurien durch literarische Quellen, Inschriften und archäologische Zeugnisse eindeutig gesichert.Dazu zählten immigrierte Aristokraten (wie etwa Demaratos aus Korinth), Töpfer und Vasenmaler (wie z.B. Aristonothos in Cerveteri) und sicher auch andere Handwerker, Künstler, Kaufleute etc. Vor allem in den südetruskischen Küstenzentren wie Cerveteri, Tarquinia und Vulci und deren Hafenstädten wie Pyrgi und Gravisca hatten sich in der zweiten Hälfte des 6.Jh. Griechen meist ostgriechisch-joni-scher Provenienz etabliert, die ihre eigenen Heiligtümer und Kulte hatten, charakteristische, oft farbenprächtige Vasengattungen wie etwa die Caeretaner Hydrien und die sog. Pontischen Vasen hervorbrachten und sicher in vielfaltiger Weise auf ihr etruskisches Umfeld einwirkten. Eine Präsenz griechischer Monumental- und Wandmaler ist zwar nicht belegt, doch haben die hervorragende Qualität und der stark jonisierende Stil mancher spätarchaischer großformatiger Grabmalereien von Tarquinia (wie besonders in der Tomba degli Auguri und Tomba delle Leonesse) einige Archäologen dazu bewogen, hier eingewanderte ostgriechische Maler am Werk zu sehen, was freilich umstritten bleibt. Eine ausgeprägte jonische kunstlerische Koiné war bekahntlich damals im Mittelmeerraum weitverbreitet und manifestiert sich u.a. auch sehr treffend in der Wand- und Grabmalerei Südetruriens und Kleinasiens (z.B. im lykischen Elmali, im phrygischen Gordion und in Lydien). Die Grabmaler Etruriens bleiben freilich - wie auch die meisten anderen etruskischen Künstler - für uns anonym; es gibt keine Signaturen. Sie wurden sicher eher als Kunsthandwerker betrachtet und haben es nie zu einer herausragenden künstlerischen und sozialen Stellung wie viele berühmte griechische Maler des 5. und 4.Jh. gebracht. Der ständig neue Nachschub von importierten griechischen Vasen im 6. und den ersten Jahrzehnten des 5.Jh. sorgte natürlich für weiteres Anschauungsmaterial und potentielle Bildvorlagen. Wie wir heute wissen, arbeiteten manche attischen Töpfer und Vasenmaler fast ausschließ-lich für den Export in das zahlungskräftige und - zumindest vom Kunstgeschmack her - weitgehend progriechisch eingestellte Etrurien. Stil und Thematik der attischen, vor allem ftüh-rotfigurigen Vasenmalerei haben sicher auf die etruskische Grabmalerei stark eingewirkt, wenn man vor allem an. die Bankett- und Palästraszenen in bekannten tarquinischen Gräbern aus der ersten Hälfte des 5.Jh. wie der Tomba delle Bighe, Tomba dei Leopardi und Tomba del Triclinio - einem der qualitätvollsten Beispiele überhaupt - denkt. Im Laufe des 4.Jh. übte die Magna Graecia und besonders deren fuhrende kolonialgriechische Kulturmetropole Tarent einen immer bestimmenderen Einfluß auf Etrurien aus, was sowohl für die faliskische und etruskische rotfigurige Vasenmalerei - stimuliert sicher durch eingewanderte unteritalische, vor allem apulische Vasenmaler - als auch für die großformatige Flächenmalerei gilt. Ein tieffliches Beispiel dafür ist der berühmte Amazonensarkophag (jetzt im Museo Arch. von Firenze) aus dem dritten Viertel des 4.Jh., in dem eine tarquinische Adlige bestattet wurde, der aber aus importiertem inselgriechischem Marmor besteht und in Temperatechnik mit mythischen Kämpfen zwischen Griechen und Amazonen in sehr nuancierten Farbtönen von hervorragender Qualität bemalt ist, wobei Helldunkeleffekte, Schattierungen und Glanzlichter, also die neuesten Errungenschaften der weitgehend verlorenen großen griechischen Malerei zur Verwendung kamen. Vor allem beim Vergleich mit zeitgleichen tarquinischen Grabmalereien ist einem normalen etruskischen Maler ein solches Werk kaum zuzutrauen. Vieles spricht dafür, daßhier ein Grieche, vielleicht aus Tarent, gewirkt hat. Auch die singulären Deckenmalereien in der tarquinischen Tomba dei Festoni mit ihren kleinen, auf einem dunkelblauen Grund in rötlichen, fast impressionistisch anmutenden Farbflecken gemalten Putti, Hippokampen und Ranken dürfteh auf Vorbilder aus dem apulisch-tarentinischen Bereich zurückgehen. Bekanntlich, hatte die große griechische Malerei ja im Laufe des 4.Jh, eine entscheidende Wandlung durchgemacht und enorme Fortschritte erzielt. Diese Innovationen - verbunden mit berühmten Malernamen wie etwa Nikias, Apelles, Nikomachos und Philoxenos - reflektieren sich in trefflicher Weise vor allem in manchen der jungst entdeckten makedonischen Grabmalereien von Vergina, Leikadia und Aghios Athanasios, aber in etwas indirekterer Weise eben auch im frühhellenistischen Etrurien. Ikonografisch standen bei manchen etruskischen Grabmalereien der zweiten Hälfte des 4.Jh. eindeutig griechische, wohl vorwiegend großgriechische Modelle Pate wie beim Opfer der trojanischen Kriegsgefangenen durch Achilles in der Tomba Francois von Vulci oder der von Unterweltsgottheiten und Heroen bevölkerten Nekyialandschaft in deir Tombadell'Qrpo II von Tarquinia. Der monumentale, sehr plastisch wiedergegebene Waffenfries in der tarquinischen Tomba Giglioli aus der Zeit um 300 hat Vorbilder in der makedonischen und unteritalischen Grabmalerei. Die Typhondarstellungen auf dem Pilaster in der Tomba del Tifone,wohl einem der jungsten ausgemalten Gräber in Tarquinia aus der ersten Hälfte des 2.Jh., verweisen mit ihrem stark pathetischen Ausdruck und ihrer plastischen Modellierung eindeutig auf Einflüsse aus dem kleinasiatischen Kunstzentrum Pergamon.

Auf einem kleinen internationalen Kongress über hellenistische Malerei im April 1999 im japanischen Tokyo diskutierten verschiedene Fachkollegen aus Griechenland, Bulgarien, Italien, Frankreich. Deutschland und Japan u.a. die großartigen Errungenschaften der griechischen Malerei in der Spätklassik und im Frühhellenismus und deren Auswirkung auf die Malerei in verschiedenen anderen Gebieten des Mittelmeerraums, u.a. auch in Etrurien. Auch wenn uns heute die sensationellen Entdeckungen der makedonischen Königs- und Fürstengräber mit ihren exzellenten Malereien sicher näher an die verlorenen Tafelmalereien der berühmten griechischen Meister heranführen, so bietet doch die etruskische Grabmalerei allein Schon auf Grund ihrer Quantität, Vielfalt und langen Dauer auch weiterhin ein nicht versiegendes Reservoire an wertvollen Informationen über die Geschichte der antiken Malerei.


■BIBLIOGRAFIE

Generelle Werke zur etruskischen Topografie:
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F.Boitani - M.Cataldi - M.Pasquinucci, Le città etrusche(Milano 1973): auch deutsche und englische Ausgabe
G.Dennis, The Cities and Cemeteries of Etruria (London 1848)
R.Hess - E.Paschinger, Das etruskische Italien (Köln 1980)
M.Moretti - G.Maetzke - M.Gasser - L.von Matt. Kunst und Land der Etrusker (Zürich 1 969)
H.H.Scullard, The Etruscan Cities and Rome (London 1967)
A.Solari, Topografia storica dell'Etruria I - III (Pisa 1914-1918)
S.Steingrsber, Etrurien - Städte. Heiligtümer, Nekropolen (München 1981): auch italie.nische Ausgabe
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Werke zur etruskischen Architektur und Grabarchitektur:
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G.Colonna, “Urbanistica e architettura” in: Rasenna. Storia e Civiltà degli Etruschi (Milano 1986) S.371-530
J.P.Oleson, The Sources of Innovation in later Etruscan Tomb Design (ca.350 - 100 B.C.)(Rome 1982)
F.Prayon, Frühetruskische Grab- und Hausarchitektur (Heidelberg 1975)

Werke zur etruskischen Grabmalerei:
H.Blanck - C.Weber Lehmann, Malerei der Etrusker in Zeichnungen des 19.Jahrhunderts (Mainz 1987)
M.Moretti, Nuovi monumenti della pittura etrusca (Milano 1966)
M.Moretti - L.von Matt, Etruskische Malerei in Tarquinia (Köln 1974)
M.Pallottino, La Peinture Etrusque (Genève 1952)
S.Steingräber u.a., Etruskische Wandmalerei(Stuttgart - Zürich 1985):auch englische,itanenische und japanische Ausgabe




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